Der Lebensanfang, die Versorgung von Alten undKranken und das Lebensende – 3 Themen mitten aus dem Leben, die meiner Meinung nach in der deutschen Politik zu wenig Beachtung finden. Mit diesen Themen einhergehende Probleme, die man augenscheinlich nicht lösen möchte.
Hallo, mein Name ist Christin Jost. Ich stehe hier heute für die FREIE WÄHLER Hessen. Ich bin als Frauenpolitische Sprecherin, stellv. Leiterin der Landesarbeitsgemeinschaft für Gesundheit und Pflege sowie Vorständin im Bundesfachausschuss für Soziales, Gesundheit und Pflege.
Ich bin nicht nur Politikerin – ich bin selbst Mutter, Mütterpflegerin und begleite aktuell ein Projekt des hessischen Sozialministeriums zur Wiedergewinnung von Hebammen in die klinische Geburtshilfe. In meiner Arbeit als Mütterpflegerin habe ich einige Frauen, die Gewalt unter Geburt erlebt haben, betreut. Ich habe unzählige Gespräche mit Hebammen zu diesem Thema geführt.
Die Thematik wird immer noch von etlichen Menschen, als übertrieben und oft mit den Worten „Hauptsache dem Baby geht es gut“ abgetan – dem entgegensteht aber, dass jede 2. Gebärende (wer weiß, wo die Dunkelziffer wirklich liegt) von physischer, psychischer und struktureller Gewalt betroffen ist. Zu den Betroffenen zählen ebenso die Kinder, die Väter, Partner und Partnerinnen. Auch Gewalt gegenüber Klinikpersonal darf hier nicht unerwähnt bleiben. Zu den Folgen gehören posttraumatische Belastungsstörungen, Traumata, eine gestörte Mutter-Kind-Bindung, Verletzungen, Stillprobleme und vieles mehr.
Personalmangel, Hierarchiegerangel, Ökonomie – und daraus entstehender vermehrter Einsatz von medizinischen Maßnahmen – das alles wird auch mit der neuen Krankenhausreform Alltag in unseren Kreißsälen bleiben. Die Geburtshilfe wurde wieder mal „vergessen“. Bei der Reform mit 60 % Vorhaltekosten und 40 % Finanzierung über die Fallpauschalen wird man weiterhin auf möglichst viele Interventionen unter der Geburt setzen müssen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Es verbessern sich weder die Arbeitsbedingungen in den Kreißsälen, noch wird die Lage in der Ausbildung neuer Hebammen verbessert. Hier kommt es sogar eher zu einer Verschlechterung. Durch die Zentralisierung der Geburtshilfe, fallen Kreißsäle weg und die vorhandenen Studenten verteilen sich auf immer weniger geburtshilfliche Einrichtungen. Die dringend erforderliche Behebung des derzeitigen Hebammenmangels und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist so, meiner Meinung nach, unmöglich. Ferner denken sogar über 40% der klinischen Hebammen ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder ganz aus dem Beruf auszusteigen.
Wir brauchen gangbare und sofortgreifende Lösungen, um die Probleme in der Geburtshilfe zu beheben. Wir brauchen mehr Studienplätze und damit verbunden mehr Praxisplätze. Auch das Thema Gewalt in der Geburtshilfe und gewaltfreie Kommunikation müssen Themen innerhalb des Studiums sein. Zudem muss die Geburtshilfe aber auch die gesamte Pflege einen größeren Stellenwert und mehr Wertschätzung in unserer Gesellschaft einnehmen und erfahren. Leider hinken wir im internationalen Vergleich völlig hinterher.
Auch die Entstehung von Hebammengeleiteten Kreißsälen ist ein Teil der Problemlösung. Unsere Hebammen sind Fachfrauen für die Begleitung von Schwangeren und Wöchnerinnen und für die physiologische Geburt. Sie haben die Kompetenz Geburten eigenständig zu begleiten und ihren originären Hebammentätigkeiten nachzugehen. Auch für die Frauen, die sich für solche Einrichtungen entscheiden, hätte dies viele Vorteile z.B. das Erleben einer selbstbestimmten Geburt, eine 1:1 oder sogar 1:2 Betreuung, aber eben auch die Sicherheit, im Falle des Falles doch auf ärztliche Unterstützung zurückgreifen zu können. So finden z.B. in Österreich oder der Schweiz 90% der Geburten in einem Hebammenkreißsaal statt. Auch hier hinken wir wieder enorm hinterher.
Die Politik muss endlich in die Pflicht genommen werden, realistische und effiziente Lösungen zu finden. Hier müssen vor allem relevante Gremien und Institutionen eingebunden werden. Sie sind die Fachleute in diesem Bereich. Und es macht mich wütend, wirklich wütend, wenn über die Expertenmeinungen hinweg lebensferne Entscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus ist aber auch das Vorantreiben der Forschung dringend erforderlich. Durch die Akademisierung des Hebammenberufes wird zumindest hoffentlich dem in Zukunft Rechnung getragen.
Ich finde es im Übrigen schade, dass hier heute nicht auch andere Sprecherinnen und Sprecher verschiedener politischer Couleur teilnehmen.
Wir FREIE WÄHLER Hessen sehen die dringende Notwendigkeit, die Geburtshilfe einer personellen und strukturellen Transformation zu unterziehen. Sofern wir am 08.10.2023 in den hessischen Landtag einziehen, ist dieses Thema fester Bestandteil unserer Agenda.
Ebenso wichtig ist es, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit bleibt. Betroffene Frauen müssen über ihre Erfahrungen öffentlich aber auch mit den betroffenen Häusern sprechen. Ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, dass es schwierig ist an den Ort zurückzugehen, an dem einem Gewalt passiert ist. Nur wenn Frauen über dieses Thema kontinuierlich in der Öffentlichkeit reden und mit den Kliniken und Verantwortlichen ins Gespräch gehen, kann sich etwas ändern.
Keine Frau sollte solche Dinge am schönsten Tag ihres Lebens – bei der Geburt ihres Kindes – erleben müssen. Und wir alle – als Verantwortliche, als Betroffene, als Politiker, als Mütter, als Frauen – wir dürfen über dieses Thema nicht schweigen.
Zum Schluss möchte ich unsere Landtagskandidatin für die FREIE WÄHLER Hessen für den Wahlkreis 36 – Barbara Lange, herzlich begrüßen. Sie selbst ist ebenfalls sehr verwurzelt mit Sozial- und Frauenpolitischen Themen und steht sicherlich für Gespräche zur Verfügung.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch spannende Diskussionen an diesem Tag. Bitte machen Sie am 08.10.2023 von Ihrem Wahlrecht Gebrauch.
Vielen Dank!