Ein Satz, den man so [konkreter ausformuliert] momentan in der Zeitung lesen kann: Lauterbach plant Riesen-Krankenhausreform. Inhalte dieser Krankenhausreform, die die größte seit 20 Jahren werden soll, ist u.a.:
- Phase 1: Ermittlung des Personalbedarfes bei einer repräsentativen Auswahl von Krankenhäusern (PPR 2.0.)
- Phase 2: Per Rechtsverordnung Vorgaben für die Personalbemessung der Krankenhäuser (PPR 2.0.)
- „Nachtschichten abschaffen“
- Ambulante Behandlungen (wo möglich) fokussieren
- Pflegekräfte durch Wegfallen der „schweren Schichtdienste“ entlasten
- „Wir haben nicht zu wenig Pflegekräfte – sie sind nur nicht effizient eingesetzt.“ [Karl Lauterbach]
- Abschaffung der Fallpauschalen (DRG System)
- Unter dem Gesichtspunkt, dass Krankenhäuser momentan in der Lage seien, viele Patienten günstig zu behandeln, um damit Gewinne einzufahren
Erlauben Sie mir, diese Punkte nachfolgend mal genauer zu beleuchten. Da dies ein sehr komplexes Thema ist, werde ich die Punkte in unterschiedlichen Beiträgen separieren.
- Ambulante Behandlungen fokussieren / Nachtschichten abschaffen
Sicher sind viele Eingriffe ambulant durchführbar (gleichwertig). Die Kosten für eine stationäre Behandlung sind im Schnitt 2,3-mal höher – und so werden zum einen Kosten gesenkt, als auch personelle Ressourcen geschont. Oberste Priorität muss aber hier eine gleichbleibend optimale Patientenbehandlung sein, weil eben der Mensch und nicht die Wirtschaftlichkeit im Fokus stehen sollte.
Der Grundgedanke, also Behandlungen, welche ambulant möglich und sinnvoll sind, zu fokussieren, ist sicher ein sinnvoller Gedanke. Diesen Ansatz gibt es bereits von 2004 an. U.a. Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG – Ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV)).
Die Zahlen der ambulanten Behandlungen sind seit einigen Jahren (fast durchgängig) ansteigend. Dieser Prozess ist also schon Realität.
Werden jetzt noch mehr ambulante Behandlungen fokussiert (welche bei näherem Hinschauen, nur durch finanzielle Argumente begründet werden) und Nachtschichten abgeschafft, birgt dies jedoch erhebliche andere Probleme, welche überhaupt nicht thematisiert werden:
- Sollte es nach einer ambulanten Behandlung zu Hause Komplikationen geben, müssen die Kliniken garantieren können, den Patienten im Notfall schnell in eine Klinik bringen zu können.
- Hierfür sind zusätzliche Kapazitäten nötig: Mehr Rettungsfahrzeuge & mehr Personal. Wir wissen alle, dass auch die Rettungsdienste seit langem über den Zustand in Hinblick auf Ausstattung und Personal klagen. Experten warnen, dass die Notfallrettung selbst zum Intensivpatienten werde und vor dem Kollaps stehe. Erschwerend dazu kommt, dass mittlerweile oft bei den kleinsten med. Problemen ein Rettungsdienst kontaktiert wird. Das blockiert wertvolle Ressourcen.
- Problematisch wird es dann, wenn dann bei der Verlegung ins nächste Krankenhaus nicht genügend Pflegekräfte vor Ort sind.
- Es ist nicht in jedem Bereich der Versorgung im Krankenhaus möglich ambulante Behandlungen durchzuführen, geschweige nachts keine Betreuung zu leisten. Wie sehen hier die „Ausnahmeregelungen“ aus?
- Was ist mit Patienten, die eine fortlaufende Therapie benötigen. Was ist, wenn Therapien länger dauern, z.B. aufgrund von ad hoc eingelieferten Notfällen, wenn der zuständige Arzt nicht greifbar ist, man ggf. auf Medikamente warten muss? Ganz schnell kommt da Wartezeiten zusammen – und wenn dann am späteren Abend nicht mehr ausreichend Personal in der Klinik ist, verschärft sich die Belastung des Personals eher.
- Hoher bürokratischer Aufwand bei Patienten die eine fortlaufende Therapie benötigen. Sollen diese Patienten dann abends entlassen und am nächsten Tag wieder stationär aufgenommen werden? Gibt es hierfür wieder Sonderregelungen? Oder werden diese dann nur beurlaubt, um sich diesen Aufwand zu sparen?
- Wir dürfen die Unterschiede im städtischen und ländlichen Raum nicht vergessen: Mit einer guten Infrastruktur mag eine Entlassung am Abend denkbarer scheinen. Wenn ich aber im ländlichen Raum wohne, ist der Weg in die nächste Klinik viel weiter. Ist das den Menschen zumutbar?
- Was passiert mit den steuerfreien Nachtzuschlägen für das betroffene Personal? Die Arbeitsbelastung durch andauernde Schichtarbeiten – gerade unter den vorherrschenden Arbeitsbedingungen sind das eine – aber wie wirkt sich der Wegfall von diesen Nachtschichten auf die Bezahlung der Pflegekräfte aus und wie möchte man das dem Pflegepersonal erklären? Diese Frage möchte ich hier, ohne es weiter zu erörtern im Raum stehen lassen.
- Die Möglichkeit u.a. Nachtschichten zu leisten ist, ist für manche Menschen eine bestimmte Freiheit in der Gestaltung ihres Privat- und Berufslebens. Warum nimmt man diesen Menschen diese Möglichkeit? Die Möglichkeit zu arbeiten, während die Kinder schlafen? Die Möglichkeit stattdessen tagsüber Zeit für anderes haben?
- Die Bedürfnisse des Patienten müssen hierbei unbedingt im Fokus stehen: Wir können nicht über bürokratisch/politische Wege entscheiden, ob sich ein Patient mit seinem Krankheitsbild/Symptomen traut nach Hause zu gehen.
Diese Ausführungen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit – sicherlich ließen sich hier, vor allem im Detail, noch weitere Punkte finden, die man ergänzen könnte.
Es bleiben also viele offene Fragen und Problemstellungen, allein wenn es um das Thema der Fokussierung von ambulanten Behandlungen und der Abschaffung von Nachtschichten gibt. Man muss sich schon fragen, wie realitätsnah hier gedacht und letztendlich gehandelt wird. Vielleicht wird man ja überrascht und zu all diesen Fragestellungen gibt es im Zuge der Reform Antworten. Man darf noch hoffen dürfen. Ansonsten stopft man wieder nur Löcher und betreibt Symptompolitik – vorbei an jeglicher Lebensrealität.
Ich danke hier abschließend auch meiner lieben Kollegin Karina Luginger (FW Niederbayern / Pflegeexpertin M. Sc. ANP) für das kollegiale Brainstorming zu diesem Thema.