Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sollte eine Revolution in der Teilhabe von Menschen mit Behinderung bringen. Mehr Selbstbestimmung, weniger Bürokratie, eine bessere Unterstützung – das waren die großen Versprechen. Doch wie sieht die Realität für psychisch erkrankte Menschen aus? Hier zeigt sich ein ernüchterndes Bild: Viele Betroffene stoßen auf erhebliche Hürden, wenn sie die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen wollen.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) erfüllt mehr als jeder vierte Erwachsene in Deutschland jährlich die Kriterien einer psychischen Erkrankung – das entspricht etwa 18 Millionen Menschen. Im Jahr 2023 erhielten rund 1.017.190 Personen Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, jedoch wird in den Statistiken nicht explizit ausgewiesen, wie viele dieser Leistungsbezieher aufgrund einer psychischen Erkrankung Unterstützung erhalten (Quellen: DGPPN und Destatis).
Bürokratie als Barriere
Eine der größten Herausforderungen für psychisch erkrankte Menschen ist der hohe bürokratische Aufwand. Wer Unterstützung nach dem BTHG beantragen möchte, muss sich durch komplizierte Anträge kämpfen, Gutachten einholen und oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Für Menschen, die beispielsweise unter Depressionen oder Angststörungen leiden, stellt dies eine nahezu unüberwindbare Hürde dar. Gerade in akuten Krankheitsphasen ist es kaum möglich, sich durch diesen Dschungel aus Paragraphen und Anträgen zu kämpfen.
Unklare Zuständigkeiten
Ein weiteres Problem ist die oft unklare Zuständigkeit zwischen den verschiedenen Sozialleistungsträgern. Ist die Eingliederungshilfe oder die Krankenkasse zuständig? Was übernimmt die Rentenversicherung? Wer bezahlt für Assistenzleistungen? Diese Fragen sind für die Betroffenen kaum zu durchschauen und führen dazu, dass viele schlicht aufgeben, bevor sie überhaupt eine Unterstützung erhalten.
Fehlende Angebote und lange Wartezeiten
Auch wenn eine Leistung bewilligt wurde, heißt das noch lange nicht, dass sie schnell in Anspruch genommen werden kann. Viele psychosoziale Unterstützungsangebote sind überlaufen, Wartezeiten auf Therapieplätze oder betreutes Wohnen können Monate bis Jahre betragen. Hier zeigt sich ein strukturelles Defizit, das nicht allein durch das BTHG gelöst werden kann.
Praxisferne Bedarfsermittlung
Die Bedarfsermittlung im Rahmen des BTHG erfolgt oft nach standardisierten Verfahren, die die Lebensrealität psychisch erkrankter Menschen nur unzureichend abbilden. Wer an einer schweren Depression leidet, kann an einem guten Tag einen Antrag ausfüllen oder ein Gespräch mit einem Sachbearbeiter führen – doch das bedeutet nicht, dass die Einschränkungen nicht massiv sind. Viele Betroffene erhalten daher nicht die Unterstützung, die sie tatsächlich benötigen.
Fazit: Das BTHG muss weiterentwickelt werden
Das Bundesteilhabegesetz hat gute Ansätze, aber in der Praxis bleibt es für viele psychisch erkrankte Menschen schwer zugänglich. Bürokratische Hürden, unklare Zuständigkeiten und mangelnde Angebote verhindern eine echte Teilhabe. Hier muss dringend nachgebessert werden, damit das Gesetz seinem eigentlichen Ziel gerecht wird: Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – unabhängig davon, ob ihre Einschränkung körperlicher oder psychischer Natur ist.
Deutschland muss sich fragen, ob es Inklusion nur auf dem Papier will oder ob es bereit ist, echte Veränderungen herbeizuführen. Tacheles statt Taktik – es ist an der Zeit, dass die Bedürfnisse psychisch erkrankter Menschen endlich ernst genommen werden!